Kinder können Krise

Was wir aus der Pressekonferenz für Kinder lernen können        

Wenn Sie Kinder haben, geht es Ihnen möglicherweise wie mir: Präsenz ist gerade ausnahmsweise mal nicht das Thema. Schon lange habe ich nicht mehr so viel Gelegenheit gehabt wie dieser Tage, mit meinen beiden Söhnen zu reden. Sie sind ja die ganze Zeit zu Hause. Und aufgrund der Kontaktbeschränkungen arbeite auch ich im Moment oft im Home Office. Da geht es meiner Frau und mir nicht anders als den meisten Eltern, die nun eine Pandemie zu den besonderen Herausforderungen ihrer Elternschaft hinzufügen können. Wäre sonst ja auch zu einfach, oder?

Allerdings, und vielleicht können Sie mir auch das nachfühlen: Mehr als sonst kommunizieren heißt leider noch nicht automatisch besser als sonst kommunizieren. Ausgerechnet in dieser Situation, wo unsere Kinder so viel Erklärungsbedarf haben und angesichts der Schulschließungen so viel von unserer Aufmerksamkeit brauchen, merken wir, wie schwierig diese Übersetzungsarbeit sein kann. Außerdem fällt mir auf, wie sehr sie in der allgemeinen Verwirrung vernachlässigt wird: Irgendwie reden wir gerade ständig über Dinge, die mit unseren Kindern zu tun haben. Aber reden wir genug mit ihnen – und wenn ja, wie?

„Kinder“, sah sich eine Autorin der ZEIT kürzlich zu Recht genötigt festzuhalten, „sind mehr als Virenschleudern.“ Das mag ein wenig polemisch klingen, wurde aber mit einer treffenden Argumentation untermauert: Im politischen Diskurs ging es besonders in der Frühphase der Pandemie kaum um die Kinder. Wenn sie überhaupt mal Thema waren, dann als Störfaktoren ihrer Eltern im Homeoffice oder als verhinderte Leistungsträger, die es schleunigst wieder in Lehrpläne einzutakten gilt. Das hat sich inzwischen geändert, seit Eltern und Aktivisten sich einigermaßen sortiert und ihre Sprache wiedergefunden haben. Doch von einer kindgerechten Debatte kann auch jetzt noch keine Rede sein.

Eine wundervolle Ausnahme in diesem prioritätsverirrten Diskurs bildete die norwegische Regierungschefin Erna Solberg. Sie tat, was bei allen Staatsoberhäuptern und Eltern in so ziemlich jeder Art von Krise Pflichtprogramm sein sollte: Für einen Moment ließ sie alles stehen und liegen und gab höchstpersönlich eine Corona-Pressekonferenz nur für Kinder. Immerhin eine halbe Stunde lang beantwortete sie Fragen von Schülern aus dem ganzen Land. Dabei zeigte sie eine Menge Fingerspitzengefühl für die Kommunikation mit den jüngsten Mitbürgern.

Aus ihren Äußerungen lassen sich drei Tipps ableiten, die in der Krise auch für Ihre Eltern-Kind-Kommunikation hilfreich sein können.

Kinder leben im Hier und Jetzt

Kinder, das weiß jede Mutter und jeder Vater, haben eine andere Zeitrechnung als wir Erwachsenen. Während wir uns gerade viele Gedanken darüber machen, wo das alles noch hinführen mag, was das für unsere Lebensgestaltung in der Zukunft bedeutet und worauf wir uns nach dem Ende der Beschränkungen am meisten freuen, sind unsere Kinder vor allem im Jetzt unterwegs. Und im jetzt ist nun mal Krise: Warum darf ich meine Freunde nicht treffen? Warum kann Oma uns nicht besuchen? Warum ist der Spielplatz heute schon wieder geschlossen? Was macht das Virus mit mir, und – auch diese empathische Qualität unserer Kinder unterschätzen wir oft – was macht es mit Mama und Papa und all den Menschen um mich herum?

Gleich eine der ersten Fragen an Erna Solberg, gestellt vom elfjährigen Ole Henrik, lieferte einen deutlichen Hinweis darauf, was unseren Kindern an der Pandemie am meisten Sorgen macht: wir Erwachsenen. „Hast du Angst, Corona zu bekommen? Und wenn du erkrankst, wer wird dich vertreten?“

Solberg gab darauf dankenswerterweise die Art von Antwort, die wir Kindern oft nicht zumuten wollen oder – wenn wir ehrlich sind – nicht zutrauen: eine differenzierte. Zuerst vermittelte sie persönliche Zuversicht, indem sie auf ihre robuste Gesundheit verwies. Gleich im Anschluss jedoch griff sie die Sorge des kleinen Ole mit aller Ernsthaftigkeit auf, indem sie klarstellte: Ganz recht, wir müssen alle darauf vorbereitet sein, dass wir krank werden. Dann erklärte sie sehr konkret, was in diesem Fall passieren würde, von der Quarantäne bis hin zur Nachfolgeregelung – in klaren, mit der kindlichen Alltagswelt kompatiblen Schlüsselworten.

Die Sorgen und Ängste von Kindern beziehen sich auf das Hier und Jetzt. Sie wegzuschieben und kleinzureden macht alles nur noch schlimmer. Nehmen Sie sie ernst und gehen sie mit der nötigen Differenziertheit darauf ein – achten Sie aber auch darauf, dass Sie sie nicht verstärken.

Kinder wollen die Welt gestalten     

Ein weiterer Faktor, der in den Überlegungen zum richtigen Umgang mit unseren Kindern derzeit stark unterbelichtet ist, betrifft ihren unbändigen Mitwirkungsdrang. In der öffentlichen Debatte wird über sie derzeit nicht wie über kleine Menschen mit eigenen Vorstellungen und Ideen geredet, sondern wie über willenlose Figuren in einem Brettspiel.

Mit dieser Wahrnehmung machte die kleine Tuva durch ihre Frage kurzen Prozess: „Was kann ich tun um zu helfen?“, wollte sie von der Regierungschefin wissen.

Deren Antwort sprach Bände, denn sie zeigte: Kindern können in der Tat sehr viel tun, um die weitere Ausbreitung von Covid-19 zu verhindern, nämlich so ziemlich dasselbe wie ihre Eltern. „Das Wichtigste, was wir jetzt tun, ist Hygiene zu halten, sich die Hände zu waschen, und so weiter; sich an die ganzen Empfehlungen zu halten, nur ein oder zwei Freunde zu treffen. (…) Und viele werden sich womöglich etwas einsam fühlen. (…) Die kannst du anrufen oder mit ihnen per Skype und Facetime reden. Ich glaube, dies ist wichtig, denn wer ohnehin einsam ist, fühlt sich in einer solchen Situation noch einsamer.“ Als Beispiel nannte Solberg die eigenen Großeltern, ältere Nachbarn und Menschen mit Vorerkrankungen, aber auch Klassenkameraden.

Wir vergessen das leicht, während wir händeringend nach Lösungen für unsere Erwachsenenprobleme suchen: Auch unsere Kinder brauchen in dieser Zeit eine Aufgabe. Sie wollen und sie können helfen. Was für ein Signal senden wir ihnen, wenn wir ihnen die Möglichkeit nehmen, das Familienleben auch in der Krise mitzugestalten – natürlich in einem klar gesetzten Rahmen, in dem es ihnen zumutbar ist und guttut? Wie sollen sie lernen, eine Rolle in der Gemeinschaft zu spielen und Probleme zu bewältigen? Mit Blick auf ihre und unser aller Zukunft schulden wir ihnen Einbeziehung, auch wenn wir gerade schon genug mit uns selbst zu tun haben. Krisen bremsen nicht für Kinder – diese Krise nicht, und die Krisen der Zukunft auch nicht.

Ganz nebenbei bemerkt: Die kindliche Weltsicht hat schon manchem vermeintlich so erwachsenem Problemlösungsprozess gut getan …

Kinder leben inmitten unserer Welt in ihrer eigenen Welt

Drittens ist auch die Art, wie wir öffentlich, aber auch zu Hause über die Krise reden, oft alles andere als kindgerecht. Was unseren Kindern derzeit so um die Ohren fliegt, verstehen wir manchmal ja schon als Erwachsene kaum (was man der Debatte schließlich oft auch deutlich anmerkt). Von morgens bis abends reden alle über Reproduktionszahlen, Präventionsmaßnahmen und Konjunkturprogramme. Vielleicht hilft die Krise uns zu erkennen, dass wir sehr viele Debatten in einer Weise führen, die sie für Kinder völlig unzugänglich macht. Selbst die Impfdebatte, bei der es vor allem um unsere Kinder geht, würden Kinder als letzte verstehen.

Auch in dieser Hinsicht zeigten einige Äußerungen von Erna Solberg, wie es besser geht. Die Ministerpräsidentin gab sich größte Mühe, kindgerecht zu sprechen. Das gelang ihr vor allem sprachlich vielleicht nicht immer. Doch was mich beeindruckt hat ist, wie konsequent ihre Argumentationsweise auf die Gedanken- und Lebenswelt von Kindern eingestellt war.

Die Frage, was passieren würde, wenn sie krank werde, wusste sie in klaren, mit der kindlichen Alltagswelt kompatiblen Schlüsselworten zu erklären: Sie sprach zum Beispiel über ihr Zuhause, wo sie sich dann aufhalten würde. Immer wieder zog sie im Verlauf der Pressekonferenz bewusst Parallelen zum Familienleben, mit denen jedes Kind aus eigenem Erleben etwas anfangen kann. Dabei reduzierte sie die Komplexität ihrer Antworten gerade soweit, dass es einem Kind aus seiner Sicht verstehen hilft: „Es ist dafür gesorgt, dass immer jemand das Land regieren kann.“

Auch bei ihrem Vorschlag, wie die Kinder selbst andere unterstützen können, bewies die Regierungschefin Gespür für die kindliche Denk- und Lebensweise: „Einige in deiner Klasse haben vielleicht nicht so viele Freunde und denken, ich habe keine zwei Freunde, mit denen ich mich treffen kann. Die kannst du anrufen und mit ihnen per Skype oder Facetime reden.“

Im Alltag tun wir leider oft genau das Gegenteil von dem, was die Regierungschefin hier demonstriert: Im Bemühen, kindgerecht zu reden, hört sich unsere Sprache manchmal an wie bei einem Casting für die Teletubbies. Aber das, was unseren Kindern wirklich verstehen hilft, passen wir nicht an: die Perspektive, die Beispiele, die Handlungsoptionen.

Gerade das macht die Kommunikation mit Kindern so herausfordernd und auch so lehrreich: Damit wir ihnen helfen können unsere Welt zu verstehen, müssen wir uns in ihre Welt hineinversetzen. Eine Haltung, die übrigens nicht nur in der Eltern-Kind-Kommunikation die Art verändern kann, wie wir miteinander reden … Und zwar auch nach der Krise.

Einen Zusammenschnitt der Pressekonferenz von Erna Solberg mit deutschen Untertiteln können Sie sich auf dem YouTube-Kanal der Norwegischen Botschaft Berlin ansehen: https://www.youtube.com/watch?v=MoXRVSAqYzE

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