„Wir sprechen zu viel und fühlen zu wenig“

Der Schlussmonolog aus „Der große Diktator“

Wir alle kennen Charlie Chaplin als einen der begnadetsten Komiker aller Zeiten. Was viele nicht wissen ist, wie weit sein Ruhm zu Lebzeiten tatsächlich reichte: Dieser kleine Mann, aufgewachsen in den Armenhäusern Londons, war einmal ohne Übertreibung der berühmteste Mensch der Welt. Nicht ich behaupte das; kein geringerer als Kurt Tucholsky hat ihn so genannt.

Viel wichtiger als Chaplins beispiellose Popularität war jedoch die gesellschaftliche Rolle, die der Entertainer als Ergebnis seiner tragischen Kindheit, den Skandalen um seine Person und dem Grauen seiner Epoche bewusst und gezielt einnahm, um der Welt ein versöhnliches Erbe zu hinterlassen: Chaplin war der vielleicht effektivste Gesellschaftskritiker aller Zeiten. Vor allem anderen aber war er ein großer Humanist.

Mit anderen Worten: Charlie Chaplin war genau die Art von Persönlichkeit, deren Einfluss wir heute oft schmerzlich vermissen – und dessen Worte uns heute aufs Neue aufrütteln, begeistern und heilen können. Seine vielleicht berühmtesten Worte sprach er in seiner größten Rolle überhaupt: im Schlussmonolog des Films „Der große Diktator“.

Nun gibt es viele berühmte Reden. Doch es gibt nur wenige, die nachweislich eine ganze Generation bewegt, geprägt und inspiriert, mit anderen Worten: eine Delle ins Universum geschlagen haben. Auf diesen Monolog trifft das zu.

Der 1940 veröffentlichte Film ist eine Satire auf Hitler und den Nationalsozialismus. Chaplin spielt darin einen jüdischen Friseur, der mit einem Diktator verwechselt wird und so die Gelegenheit erhält, diese flammende Rede für Frieden und Menschlichkeit zu halten. Forschern zufolge hatte die Rede tatsächlich großen Einfluss auf die Menschen ihrer Zeit. Sie hat den Menschen in Frankreich, England, Russland und überall auf der Welt mitten im furchtbarsten Krieg aller Zeiten Mut zugesprochen und Kraft gegeben, standhaft beim Antifaschismus zu bleiben und gegen das Terrorregime Hitlers anzukämpfen. Dieser Monolog ist einer der beeindruckendsten Belege dafür, was Rhetorik bewirken kann.

Deshalb lenken wir unsere Aufmerksamkeit einmal darauf, wie Charlie Chaplin sagt, was er sagt. Betrachten wir, welche rhetorischen Mittel er verwendet und was die Rede zu einem solchen Meisterwerk gemacht hat, dass sie Generationen später noch immer eine Inspiration ist – menschlich und rhetorisch. Ich beziehe mich dabei auf die hervorragende deutsch synchronisierte Fassung des Monologs, die jedoch im Wesentlichen dieselben Qualitäten aufweist wie das englischsprachige Original.

Kontrastierungen schaffen bleibende Eindrücke

Der Film „Der große Diktator“ arbeitet darstellerisch wie sprachlich mit Kontrasten, die dramatischer nicht sein könnten: Wo die Person Hitler für Hass und Verachtung steht, steht Chaplins Charakter für Liebe und Güte. Dieser extreme Kontrast der äußerlich ähnlichen Figuren trägt einen großen Teil zur Wirkung des Films bei.

Auch der Schlussmonolog macht ausgiebig Gebrauch vom Stilmittel Kontrastierung. Immer wieder stellt Chaplin im Zuge der Rede extreme Kontraste gegenüber: zwischen Liebe und Hass, Menschen und Maschinen, Freiheit und Unterdrückung. Oft nutzt er zur Hervorhebung dieser Kontraste ein zusätzliches Stilmittel, nämlich die Anapher: „Ihr seid keine Maschinen! Ihr seid Menschen!“ – „Kämpft nicht für die Sklaverei! Kämpft für die Freiheit!“ – „Die Macht Kanonen zu fabrizieren, aber auch die Macht Glück zu spenden.“

Eine ganze Reihe von Kontrastierungen semantischer Natur bildet eine der stärksten Passagen der Rede: „Wir haben die Geschwindigkeit entwickelt, aber innerlich sind wir stehen geblieben. Wir lassen Maschinen für uns arbeiten und sie denken auch für uns. […] Wir sprechen zu viel und fühlen zu wenig. Aber zuerst kommt die Menschlichkeit und dann erst die Maschinen. Vor Klugheit und Wissen kommt Toleranz und Güte.“

Kontrastierungen sind deshalb so eindrucksvoll, weil sie krasse Gegensätze direkt nebeneinanderstellen und den Unterschied damit umso deutlicher werden lassen. Der Einsatz von Kontrastierungen ist zum Beispiel dann sinnvoll, wenn es um den Wandel von einem Zustand in einen anderen geht oder darum, im Zuge einer Entscheidung die Folgen der jeweiligen Alternativen aufzuzeigen, die zur Wahl stehen.

Metaphern, die für Klarheit sorgen

Die gesamte Rede ist von einer äußerst bildlichen Sprache geprägt – in einem Ausmaß wie bei wenigen anderen berühmten Reden. Der Redner beschreibt, wie Missgunst die Menschen „im Paradeschritt zu Verderb und Blutschuld geführt“ hat. Er stellt fest, wie die Erfindungen Luftfahrt und Rundfunk „eine Brücke geschlagen“ haben. Er spricht von Männern, die „die Menschlichkeit mit Füßen treten“.

Auch sehr bildhafte Analogien kommen zum Einsatz, um den Unterdrückten Mut zu machen, ihren unwürdigen Lebensumständen zu entfliehen und für eine bessere Zukunft zu kämpfen: „Ihr werdet gedrillt, gefüttert, wie Vieh behandelt, und seid nichts weiter als Kanonenfutter.“

Die vielleicht eindrücklichste Metapher der ganzen Rede ist jedoch die Beschreibung der Unterdrücker als „Maschinenmenschen, mit Maschinenköpfen und Maschinenherzen“. Chaplin hätte nicht ahnen können, welche zusätzliche Bedeutung diese Worte einmal haben würden: Heute, wo neben kalten, emotionslosen Menschen tatsächlich auch künstliche Intelligenz ein Thema ist, dem es achtsam zu begegnen gilt. Jene Un-Menschen, die Chaplin anprangert, könnten sich die Gewissenlosigkeit der Maschinen und Algorithmen zunutze machen, wie sie es damals mit Panzern und Gewehren taten.

Metaphern machen Zustände, aber auch abstrakte Zusammenhänge und sogar die Verfasstheit ganzer Gesellschaften sicht- und greifbar. Sie können deshalb gerade in unübersichtlichen Zeiten für große Klarheit sorgen.

Wortwahl, die ins Schwarze trifft

Ein oft unterschätztes rhetorisches Werkzeug sind – so absurd das klingen mag – die Worte selbst. Die Wahl des einzelnen Wortes, in seiner schlichten und doch so machtvollen Ästhetik, kann eine Aussage und eine ganze Rede verändern.

An einigen Beispielen aus Chaplins Monolog wird das sehr deutlich: Wenn Chaplin von den „Verbrechern“ spricht, ist das eine enorm starke, bewusst provokante Wortwahl. So werden Regierende selbst dann selten genannt, wenn sie massiv in der Kritik stehen. Auch ein Begriff wie „Sklaverei“ ist nicht zufällig gewählt, sondern soll gezielt erschrecken und aufrütteln. Den Begriff der „Brüderlichkeit“, der mit der Bedeutung der gesamten Aufklärung aufgeladen ist, wählt der Redner ebenfalls gezielt. Er verdeutlicht damit, wie der Mensch sich gegen seine eigenen Errungenschaften und Werte stellt – und mit welchen Werten er diesen Prozess auch wieder umkehren kann.

Nichts kann den Charakter einer Rede und die Wirkung eines Redners so subtil, aber nachhaltig verändern wie eine bewusste, mikroskopisch präzise und vor allem zielorientierte Wortwahl.

Mit der Trias ins Gedächtnis  

Mehrfach macht Chaplin auch von der „Macht der 3“ Gebrauch: Aufzählungen und wichtige Schlagworte, die im Dreierpack, also als „Trias“ dargeboten werden, bleiben nämlich nachweislich besser im Gedächtnis haften. Das gilt sowohl für einzelne Begriffe als auch für Begründungen, Schrittfolgen, Argumentate usw.

So lässt Chaplin den „großen Diktator“ seinen Zuhörern mit einer Trias verdeutlichen, wie sie von den Unterdrückern fremdgesteuert werden: „Ihr habt das zu tun, das zu glauben, das zu fühlen.“ In derselben Passage lässt er, um die Wirkung seiner Diagnose zu verstärken, gleich weitere triadische Formulierungen folgen: „Ihr werdet gedrillt, gefüttert, wie Vieh behandelt.“ – „Ihr seid keine Roboter, ihr seid keine Tiere, ihr seid Menschen!“

Auch seinen finalen Handlungsimpuls, der in dieser perfekt strukturierten Rede natürlich nicht fehlen darf, leitet Chaplin mit einer Trias ein. Er hat die Form eines dreifachen Imperativs, der zugleich eine Anapher ist: „Lasst uns diese Ketten sprengen! Lasst uns kämpfen für eine bessere Welt! Lasst uns kämpfen für die Freiheit in der Welt […]“

Die Trias ist ein strukturgebendes rhetorisches Mittel, das sich hervorragend für Argumente und Handlungsoptionen eignet, die den Zuhörern unbedingt im Gedächtnis bleiben sollen.

Wiederholung als Wirkverstärker   

Eines der vielleicht einfachsten und doch oft unterschätzten rhetorischen Mittel überhaupt ist die Wiederholung. Viele Redner scheuen Redundanzen, weil sie fürchten, es könnte ungelenk oder gar wie Vergesslichkeit wirken, wenn sie sich wiederholen. Tatsächlich können Wiederholungen, sparsam und gezielt eingesetzt, wichtige Aussagen oder auch Kernbegriffe einer Rede sehr effektiv hervorheben – gerade weil sie auffallen und aufhorchen lassen.

Mein Lieblingssatz aus dem Schlussmonolog von „Der große Diktator“ ist aus mehreren Gründen bemerkenswert: „Nur wer nicht geliebt wird, hasst.“ Zum einen erklärt der Satz in nur sechs Worten das gesamte tragische Erbe der dunklen Epoche, die der Film thematisiert – und aller anderen dunklen Epochen der Menschheit dazu: Unterdrückung und Ungerechtigkeit, Hochmut und Missgunst, Rassismus und Intoleranz – genau jene zerstörerischen Muster, deren Anfängen wir auch heute wieder wehren müssen.

Der andere Grund, warum der Satz rhetorisch so brillant ist: Der Redner akzentuiert diese Kernaussage mit einer Wiederholung. Er hebt die Aussage hervor, indem er sie unmittelbar nach dem Aussprechen teilweise noch einmal wiedergibt: „Nur wer nicht geliebt wird, hasst, nur wer nicht geliebt wird.“ So fällt der Satz besonders auf, womit sichergestellt ist, dass er nicht überhört wird; er prägt sich besser ein; und er regt eher zum Nachdenken an.

Wiederholungen sind ein sehr einfaches und zugleich sehr wirkungsvolles Mittel, um wichtige Aussagen besonders zu betonen und im Gedächtnis der Zuhörer zu verankern.

Die unermessliche Kraft der Rede     

Fast schmerzt es mich, das zu schreiben: Der Schlussmonolog dieses Films von 1940, eine der bekanntesten Reden der Filmgeschichte und des 20. Jahrhunderts, könnte aktueller kaum sein. Die mitreißende Rede ist heute aus denselben Gründen bedeutsam wie vor beinahe 80 Jahren: Auch heute sehen wir uns mit den Gespenstern von Rassismus, Ausgrenzung und Inhumanität konfrontiert – während wir in der bequemsten und friedlichsten Welt leben, die es je gegeben hat.

Und deshalb haben wir auch heute wieder dringenden Bedarf an Rhetorik, die warnt und befriedet, öffnet und harmonisiert, wachrüttelt und inspiriert. Machen wir uns die unermessliche Kraft der Rede zunutze, um für die Freiheit, die Menschlichkeit und die Demokratie zu kämpfen, die unsere Vorfahren unter dem Eindruck von Reden wie dieser errungen haben. Zelebrieren wir die Rede als humanitäres Ausdrucksmittel!

Nicht aber, indem wir einfach nur mehr reden, möchte ich hinzufügen. Auch wenn es Sie überraschen mag, das ausgerechnet von mir zu hören: Ich bin der Überzeugung, dass Chaplins Worte in vielen aktuellen Debatten auch heute wieder Gültigkeit haben: „Wir sprechen zu viel und fühlen zu wenig.“

Öfter innehalten, mehr nachdenken, und dann nur das sagen, was die Botschaft unterstützt: Das scheint mir das Gebot einer Rhetorik der Stunde zu sein. Für eine Welt, „in der die Vernunft siegt, in der uns Fortschritt und Wissenschaft allen zum Segen reichen. Kameraden, im Namen der Demokratie: Dafür lässt uns streiten!“

Den gesamten Schlussmonolog des unsterblichen Charlie Chaplin aus „Der große Diktator“ können Sie hier ansehen.  

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